Artikel veröffentlicht: Saturday, 08. February 2014, 13:27 Uhr
Es gibt keinen linken Antisemitismus. Es gibt keinen rechten Antisemitismus. Es gibt Antisemitismus.
1983 bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Arnoldshain zu Fragen der Israel-Solidarität.
-kr-
audiatur online
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Antisemitische Besessenheit der Linken
Rezension von Manfred Gerstenfeld
5. Februar 2014
Der Historiker Robert Wistrich, Inhaber des Neuberger Lehrstuhls für moderne europäische und jüdische Geschichte und Leiter des Vidal Sassoon International Center for the Study of Anti-Semitism an der Hebräischen Universität Jerusalem, hat zahlreiche Veröffentlichungen zu verzeichnen. Zuletzt erschienen von ihm Lethal Obession über zeitgenössischen Antisemitismus im weitesten Sinne des Wortes [1] und das auf Deutsch erschienene Buch Muslimischer Antisemitismus – eine aktuelle Gefahr, in dem er Ähnlichkeiten zum Antisemitismus der Nazis feststellt.[2]
Wistrichs letztes Buch From Ambivalence to Betrayal: The Left, the Jews and Israel ist eine weitere Meisterleistung der Forschung. Die Kapitel sind so bewundernswert gestaltet, dass sie auch einzeln als Essay bestehen können. Das Buch liefert eine faszinierende Analyse der Evolution der Positionen die extrem Linke und Sozialdemokraten hinsichtlich dem, was als„jüdische Frage“ bekannt geworden ist, vertraten.
Wistrich untersucht eine lange Zeitspanne und beginnt im 19. Jahrhundert. Der Umfang der Positionen ermöglicht es dem Leser, antisemitische Motive in der Linken wiederzuerkennen, die in den letzten Jahrzehnten erneut in verschiedenen Formen hervorgekommen sind. So brandmarkte beispielweise Karl Kautsky, führender Theoretiker der deutschen Sozialdemokraten, hundert Jahre bevor die UN 1975 „Zionismus ist Rassismus“ annahm, den Zionismus bereits als rassistisch. (308).
Kreisky, Archetyp der jüdischen Selbstverachtung
Ein Viertel des Buches behandelt Themen, die die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg betreffen. Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky, über den Wistrich bereits früher geschrieben hat, wird als Quintessenz des linken, selbsthassenden Juden beschrieben. Interessanterweise behauptet Kreisky, dass er in seiner Jugend keinen Antisemitismus erfahren habe, kaum vorstellbar angesichts der Ereignisse in Österreich in der Vorkriegszeit.
Kreisky war einer „jener Juden, die nichtjüdischen Österreichern gänzlich von einer latenten Schuld wegen ihrer bekannten Rolle im Holocaust freisprechen konnten“, beschreibt ihn Wistrich. Kreisky tat diesauf verschiedene Art und Weise. Schonungslos griff er Simon Wiesenthal an, den er als „gefährlichen Reaktionär“ brandmarkte. Auch sagte er, „wenn die Juden ein Volk sind, dann sind sie ein hässliches Volk“. (496). Kreisky war ein Pionier auf dem Gebiet, Israel als „semi-faschistisch“ und als „Apartheid“-Staat zu bezeichnen, seiner Meinung nach war Israel „undemokratisch“, klerikal“ und „militärisch“. (480).
Zeitgenössische Antisemiten halten einen Juden vom Typ Kreisky für nützlich, um sich selbst von Kritik freizusprechen, weil sie ja auf einen Juden verweisen können, der ihre Meinung teilt. In seinem Buch Post-Zionism, Post-Holocaust: Three Essays on Denial, Forgetting, and the Delegitimation of Israel beschreibt Elhanan Yakira ein verwandtes Thema – postzionistische – antizionistische – Juden, die Israel dämonisierenl. So werden sie Mitglied einer „intellektuellen Gemeinde gleichgesinnter Verzerrer.“ Yakira meint, dass es „der beste Weg sei, Teil eines Systems zu sein, um in akademischen Kreisen weiterzukommen. Dann wird man ständig ins Ausland eingeladen und veröffentlicht Arbeiten, auch wenn diese nur geringe Substanz haben.”[3]
Der Ansatz von Kreisky funktioniert aber nicht immer gut, selbst wenn man ein noch extremer Antizionist ist. Dies zeigt sich besonders im Zusammenhang mit Diktaturen. Rudolf Slansky, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, wurde 1952 mit anderen Mitangeklagten jüdischer Herkunft im Prager Schauprozess unter anderem des „Zionismus“ beschuldigt. „Er war ein eingeschworener Feind Israels und des gesamten zionistischen Unterfangens und hatte nach 1948 den Waffenverkauf an den jüdischen Staat blockiert“, berichtet Wistrich. Unter den jüdischen Mitangeklagten dieses Prozess gab es eine Reihe, die ebenfalls sehr antizionistisch eingestellt waren. Doch auf die damalige klassisch kommunistische Weise, wurden sie gezwungen zuzugeben, dass „sie bürgerlich-nationalistische Juden sind.“ (450).
Antisemitismus eingebettet in die britische Kultur
Wistrich ist in England aufgewachsen und hat sich bereits an anderer Stelle mit dem Problem des englischen Antisemitismus auseinandergesetzt. [4] In dem Kapitel „Great Britain: A Suitable Case for Treatment?” veranschaulicht er, wie tief Antisemitismus in der britische Kultur verankert ist und ein Jahrtausend zurückreicht. Er erinnert sich wie Juden von Antisemiten „Anfang des 20. Jahrhunderts genauso mit dem Kommunismus wie mit dem Kapitalismus in Verbindung gebracht wurden.“ (539). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Aussenminister der Labor-Partei von Vielen im Vor-Israel Palästina als der tonangebende Antisemit Britanniens angesehen.
Wistrich benennt mehrere zeitgenössische Quellen für antiisraelische Aufhetzung auf Seiten der britischen Linken. Unter den Zeitungen nimmt The Guardian die bekannteste Position ein. So verglich sie eine israelische Militäroperation in Jenin nach einem schweren Selbstmordanschlag in einem israelischen Hotel mit dem 11. September. Die israelische Aktion war „mindestens genauso widerlich in Einzelheiten, nicht weniger erschütternd wie von Hand gemacht“, schrieb der Guradian. Und der Jenin-Kampagne „hängt bereits die Aura der Schande eines Verbrechen besonderer Bekanntheit an.“ (544)
Einen Sonderplatz in der Propagierung antiisraelischer Aufhetzung nimmt der staatliche Sender BBC ein. Er wird von liberal-linken Mitarbeitern dominiert. (543). Der Prozessanwalt Trevor Asserson hat mehrfach gut dokumentierte Untersuchungen vorgenommen, in denen er die systematische Voreingenommenheit der BBC gegenüber Israel detailliert beschreibt. Asserson stellte fest, dass „BBC Nachrichtenberichte zu Israel durch Auslassung, Teilangaben von Fakten, selektive Interviewpartner und Auswahl der Hintergrundinformationen, die geben oder aber fehlen, verzerrt wird.“ [5]
Linke Quellen für Israelhass gibt es in Grossbritannien im Überfluss. Sie sind zu finden bei der extremen Linken, Gewerkschaften, der Labor Partei und Liberalen Parteien, im Theater und anderenorts. Man kann nur hoffen, dass Wistrich eines Tages die eher bescheidenen Reaktionen aus dem britischen Judentum auf die anhaltende weitverbreitete Diffamierung Israels (die sich keineswegs auf die Linke beschränkt) analysieren wird.
Die marxistisch-islamistische Allianz
Angesicht der gegenwärtigen Lage ist das Kapitel über die marxistisch-islamistische Allianz sehr wichtig. Bereits 1954 schrieb Bernard Lewis einen grundlegenden Artikel darüber, „welche Qualitäten, welche Tendenzen im Islam, in der islamischen Zivilisation und Gesellschaft existieren, die entweder den Fortschritt des Kommunismus ermöglichen oder aufhalten.”[6] Heute scheint es amüsant, dass Lewis damals sich genötigt sah zu erklären, warum er qualifiziert sei, dieses Thema zu behandeln; obwohl er kein Ex-Kommunist sei. Eine Qualifikation, so Lewis, die „heute allgemein als Zuerkennung von Autorität oder Solidarität akzeptiert ist.“
Die kommunistische Propaganda gegen den Westen könne stets auf eine positive Reaktion aus der muslimischen Welt bauen, betonte Lewis, wenn es den Imperialismus angriffe. Wegen der extremen Gegenüberstellung von armen Massen und den wenigen reichen Leuten in muslimischen Ländern sei dort der Kommunismus auf eine Quelle der Sympathie getroffen. Lewis merkte an, dass die kommunistische Lehre des Staates, der die Wirtschaft kontrolliere, der Welt des Islam nicht so fremd sei. Er sagte auch, dass Versuche, den Islam und Demokratie als identisch darzustellen, auf „einem Missverständnis des Islam oder der Demokratie oder von beidem“ basieren.
Wistrich aktualisiert fast 60 Jahre der Entwicklungen zum Thema Kommunismus und die Welt des Islam. Er ergänzt die jüngste Kollaboration zwischen extrem Linken und radikalen Islamisten. Dazu zitiert er den palästinensisch-arabischen marxistischen Terroranführer George Habash, der sagte, dass sein Flügel der PLO gleichermassen an sowjetische und iranische fundamentalistische Quellen der Inspiration anknüpfe: „Jenseits der Ideologie haben wir anti-imperialistische, anti-zionistische und anti-israelische Elemente gemein.“ (564)
Wistrich schreibt, dass unter vielen Schiiten das leninistische Prinzip „jeder, der für die Revolution ist, ist gut und wer dagegen ist, ist schlecht“ geteilt würde. (565). Der geistliche Führer der islamische Republik Irans Ayatollah Khomeini war teilweise beeinflusst vom iranischen Islamo-Marxisten Al-Shariati, einem Theoretiker des „Roten Schiitentums.“ Wie die Nazis sahen auch die Kommunisten in den Muslimen mögliche Verbündete (566). Laut Wistrich kombinierte der irakische Baathismus „eine elektische Mischung aus arabisch-nationalistischen, sozialistischen, nationalsozialistischen und stalinistischen Themen,“ die unter Saddam Hussein ihren Ausdruck fand (570).
Unter den Befürwortern der linksradikal-islamischen Allianu finden sich Personen wie der verstorbene venezolanische Präsident Hugo Chavez, der Chef der britischen Respect-Partei George Galloway und der Terrorist Carlos. Auf der anderen Seite unterhält der muslimische Philosoph Tariq Ramadan Verbindungen zur linken Anti-Globalisierungsbewegung durch seine Feindschaft gegenüber neo-liberalen Ökonomen. Er wir unterstützt von Neo-Kommunisten, Trotzkisten und Dritte Welt-Kreisen in Frankreich. (579).
Doch auch Sozialdemokraten haben mit Jihadisten kollaboriert. Sowohl Kreisky als auch Willy Brandt empfingen Arafat in vollen Ehren, als sie die Sozialistische Internationale anführten. Wistrich schreibt, dass „es das erst Mal war, dass eine sozialistische Führungsperson öffentlich den palästinensischen Jihad legitimierte, als wäre es wirklich ein säkulares demokratisches Unterfangen.“ (571) Der sozialistische Ministerpräsident von Spanien, José Luis Rodrigues Zapatero, betonte seine Solidarität mit palästinensischen Radikalen, indem er eine keffiah trug (581). Wistrich liefert viele Beispiele dieser Art der Kollaboration.
Zusammenfassung
Zeitgenössischer linker Antisemitismus ist ein ernstzunehmendes Problem, das massive Aufmerksamkeit verdient. Man bedenke nur, wie mit antiisraelischer Aufhetzung in europäischen Gewerkschaften in Ländern wie Grossbritannien, Irland, Belgien, Norwegen und Dänemark, und dem Antiisraelismus und Antisemitismus der nordischen Linken umgegangen wird. Zudem erfordert der Doppelstandard vieler europäischer sozialdemokratischer Parteien gegenüber Israel eine eingehende Untersuchung.
Wistrichs meisterhaftes Buch leistet einen wichtigen Beitrag für unser Verständnis des Antisemitismus der Linken. Es ist eine weitere Zugabe zu seinen bisherigen grundlegenden Arbeiten zur Geschichte des ewigen Hasses, seiner zeitgenössischen Inkarnation und neusten Umsetzung – dem Antiisraelismus. Gleichzeitig muss weiter noch viel über den linken Antisemitismus und Antiisraelismus geschrieben werden, denn beide befinden sich stetiger Veränderung.
Dr. Manfred Gerstenfeld ist Mitglied des Aufsichtsrats des Jerusalem Center of Public Affairs, dessen Vorsitzender er 12 Jahre war.
Diese Rezension erschien erstmals auf Englisch in Jewish Political Studies Review.
Robert Wistrich, From Ambivalence to Betrayal: The Left, the Jews, and Israel (Lincoln: University Of Nebraska Press, 2012, 625)
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[1] Robert Wistrich, A Lethal Obsession: Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad, (New York: Random House, 2010).
[2] Robert S. Wistrich, Muslimischer Antisemitismus, Eine aktuelle Gefahr, (Berlin: Edition Critic, 2011), 161 pages. [German]
[3] Manfred Gerstenfeld, interview with Elhanan Yakira, “Commonalities of Holocaust Deniers and Anti-Zionists,” in Demonizing Israel and the Jews, (New York: RVPP Press, 2013), 82-84.
[4] Manfred Gerstenfeld, interview with Robert Wistrich, “Anti-Semitism Embedded in British Culture,”Post-Holocaust and Anti-Semitism, 70, June 2008.
[5] Manfred Gerstenfeld, interview with Trevor Asserson, “The BBC: Widespread Antipathy Toward Israel” in Israel and Europe: An Expanding Abyss? (Jerusalem: Jerusalem Center for Public Affairs and the Adenauer Foundation, 2006), 193.
[6] Bernard Lewis, “Communism and Islam,” International Affairs, Volume 30, No. 1, January 1954,