Artikel veröffentlicht: 17.11.2012, 08:56 Uhr
NACH DEM POLITISCHEN – Avi Primor in Deutschlandradio Kultur
Karl H. Klein-Rusteberg
Es ist mehr als zehn Jahre her, dass in einer der renommiertesten jüdischen Zeitschriften der USA, Commentary, ein viel zitierter Beitrag unter dem Titel The Good Jew erschien.
Avi Primor ist ein solcher. Er gehört zu den beliebtesten Stimmen in Deutschland, wenn es um Israel und "den" Nahost-Konflikt geht. Er ist (deshalb) in Deutschland erheblich bekannter als in Israel. In Deutschland sind seine Bücher Bestseller, die Show-Redaktionen, die von sich behaupten das politische Gespräch mittels sog. talkshows zu fördern, laden Primor gern ein. The good Jew eben, denn er bestätigt in weiten Teilen das, was dem deutschen Ohr des Friedens genehm ist. Es ist kein Privileg Primors im Namen der Information und Aufklärung, die Kultur des "Redundantionismus" zu fördern.
Vor wenigen Minuten nun gab es ein Interview im Deutschlandradio Kultur mit dem ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland. In diesem Gespräch machte Primor ein besonders originelles Friedensfass auf: Es gehe im aktuellen Krieg (gefragt wurde auch, ob dieser "bevor" stehe? TV anschalten würde helfen, die Frage zu beantworten oder nur ein Anruf bei den sonst so gern erwähnten Freunden in Israel hilft) darum, die Hamas davon "zu überzeugen", sie müsse gegen die anderen Gaza-Dschihadisten mit Gewalt vorgehen, denn von ihnen ginge die Gefahr der Expansion der Gewalt aus.
Nun lässt sich die Gefahr der in scharfer (nicht selten tödlicher) Konkurrenz zur Hamas agierenden Dschihadisten nicht leugnen. Zu den inner-Hamas Kämpfen um Macht und Theo-Ideologie (mal abgesehen von den Kämpfen gegen Fatah und PLO), sind die Konflikte mit u.a. stärker am Iran orientierten und von dort mit Geld, Waffen und wahrscheinlich auch Kriegern subventionierten dschihadistischen Terrorgruppen und -banden nicht zu unterschätzen. Die auch in Ägypten gegen die Moslembrüder kämpfenden Salafisten sind saudisch-wahabitische Krieger (wie in ganz Nordafrika; der Salafisten-Krieg in Mali gegen afrikanische Muslime ist das schrecklich-bekannteste Beispiel).
Doch ihre Radikalität ist nicht alternativ zur Hamas, sondern eine eher strategisch-taktisch andere Radikalität (die selbstverständlich jeweils andere Überlegungen auch des Westens erfordert). Die wohl schärfste Hamas-Waffe, auch gegen das westliche Denken, ist die der Moslembruderschaft: es ist die revolutionäre Geduld. Die Moslembrüder haben in Jahrzehnten des Marsches durch die Institutionen, Köpfe und Herzen der Menschen in Ägypten die Langzeitperspektive ihres Kampfes gegen die Nasser- und Folgediktaturen erfolgreich zu schätzen gelernt. So lassen sich dann auch Zeiten relativer Ruhe und sog. Gewaltlosigkeit als die des "Dialogs" nicht nur in den Medien gut verkaufen. Time is on our side, davon gehen sie aus. Diese Zeit ist nicht die der Geschichte, sondern die Zeit Gottes (wie sie götzendienerisch behaupten). Ihnen ist der Kampf gegen die Diktatur der Nasser und letztlich Mubaraks ein Kampf für eine andere Diktatur oder richtiger: er ist ihnen eine Langzeitperspektive totaler Herrschaft, die des Kaliphats - die Etablierung des "einzig wahren Islam" entgegen dem "einzig wahren" iranisch-schiitischen Islam oder dem "einzig wahren" saudisch-wahabitischen, wie er auch von Gaza-Terror-Dschihadisten erkämpft werden will. Letzteren gilt hingegen - so lässt sich andeuten - nicht der schrecklich lange Marsch, sondern der Märtyrer-Tod als eine Art radikaler, dschihadistischer Existentialismus, der seinen Höhepunkt im selbstinitiierten Tod als Märtyrer im Vollstreckungskrieg gegen andere Muslime und v.a. gegen Repräsentanten des "zionistischen Satans" findet. Es gibt in dieser Theo-Ideologie und -praxis durchaus Anklänge an die existentialistische Dritte-Welt-Linke der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, wie sie u.a. mit dem Namen Franz Fanon verbunden und mittels der Gewaltphilosophie eines Jean Paul Sartre einst in den Köpfen und Herzen europäischer Linker Wurzeln geschlagen hat (historisch war dies ein europäisch-arabischer wechselnder Einfluss, der hier nur erwähnt werden kann).
Wer also hier - gemäß dem Primor-Interview im dr-kultur - die Hamas als Gesprächspartner im Kampf gegen die anderen Dchihadismen einzuvernehmen versucht, gehört zur Vielzahl derer, die es vielleicht ahnen, aber kaum auszusprechen sich trauen: "Politik" ist hier nicht primär gefragt, ja unbekannt. Der totale Krieg der Islamisten, wie auch der Hamas, ist auf ihres Gottes Endsieg gerichtet. Endlösung eben.
Kurzum, andere Israelis wissen es zwar besser als der "gute Jude", sie aber kommen in unseren Medien selten zu Wort. Bad Jews? Deren Positionen sind vielleicht nicht "gut", aber der Wirklichkeit des Krieges, der keine territorialen, technologischen oder moralischen Grenzen hat, gemässer.
17.November 2012/Essen
Diese Seite wurde ausgedruckt von der Webseite der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Essen e.V.
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