WIE WEIT REICHT DAS ´ENDE VON AUSCHWITZ´?

Artikel veröffentlicht: 15.04.2012, 14:28 Uhr

Es reicht! Wie weit reicht es?

Vielen gilt Antisemitismus nur noch als Kampfbegriff im Kontext dessen, was als Zionismus und/oder Imperialismus bezeichnet wird. Letztlich gilt Antisemitismus als "jüdischer Kampfbegriff", der dazu dienen soll und so den Juden notwendig sei, Israel und die Juden in moralisch-instrumenteller Geschichtsquarantäne, seit 1945 moralisch verordnet, zu belassen. Israel und den Juden sei jahrzehntelang Sonderschutz vor Kritik gewährt worden, jetzt aber sei diese Zeit vorbei. Etwa so: Das "Ende von Auschwitz" gilt als erreicht (erwähnt sei am Rande: die Geschichte und Grundmuster dieser sog. "israelkritischen Argumentation" greift Alvin J. Rosenfeld in seinem grandiosen Buch "The End of the Holocaust", Oxford UP, Indiana/USA - 2011,  seriös auf). Das Privileg der Bewahrung der Juden und Israels vor "Kritik" müsse nun endlich aufgehoben werden, die Welt tritt so aus dem Schatten von Auschwitz. "Es reicht" - Israel darf endlich kritisiert werden! Free at last!

Zwar handelt es sich genau hier um einen "realen Popanz", der nunmehr zu bekämpfen sei, von dem die Welt sich zu befreien habe oder der - im Namen des Weltfriedens - bekämpft werden müsse. Die ´neuen´, befreienden Antisemiten praktizieren exakt das, was sie Juden und dem Zionismus unterstellen: sie gehen vom Popanz, statt von der erfahrenen Wirklichkeit aus! Das jedoch ist ein uraltes antisemitisches Muster. Feindschaft gegen Israel und Antisemitismus gelten als Konstrukt, der Immunisierung Israels und der Juden vor Kritik und "kritischem" Handeln dienend.  

Mit dem arroganten Muster des Schutzes der Kunstfreiheit wurde auch im Fall Grass zu argumentieren versucht - nur so ist vermutlich die Form des Gedichts zu verstehen, die der Autor seinerseits meinte wählen zu müssen. Sich auf die gesetzlich und politisch-moralisch garantierten Freiheiten zu berufen, ist in dieser Weise sehr weit verbreitet, kennt intellektuelle, wie populistische Ausdrucksformen, soziologische, historische, wie theologische Legitimationen und hat (auch ganz ohne Grass) Methode. "Gotteslästerliche" Kunstfreiheit, Gotteslästerung und die Abwendung vom Glauben (Apostasie) gelten als kunst - und religionsfeindlich, meist als islamophob bezeichnet. Auch die Freiheit der Wissenschaften ist von diesem Trend nicht unberührt. Die Freiheit, sich von seiner Religion loszusagen (also die negative Religionsfreiheit, im Unterschied zur positiven, die die Freiheit auf Religionsausübung garantiert), gilt als Schändung und Beschmutzung der Religion und sei eben - scheinbar logisch - im Namen der Religionsfreiheit zu verbieten. Wir sind, in all seinen Unterschiedlichkeiten, mit einem globalen Phänomen konfrontiert und Grass spielt - nolens? volens? -  im globalen Friedenskonzert auf dieser Klaviatur mit.

Im Namen der Freiheit der Kunstausübung werden nicht nur israelische Künstler ausgeladen oder Auftritte in Israel boykottiert, auch Rap und Jugendkultur werden -mindestens- ins Zwielicht dieser sog. "Aufklärung" gestellt. Der folgende Beitrag illustriert den längst nicht mehr marginalen Sachverhalt für Rapper in Deutschland.

Karl H. Klein-Rusteberg

 

http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article106183988/Was-nicht-gerappt-werden-muesste.html

Die Welt - 14. April 2012

Was nicht gerappt werden müsste
Verse gegen Israel, Maschinengewehre und der Hitler-Gruß: Sind deutsche Hip-Hop-Musiker wie Haftbefehl judenfeindlich?

Von Boris Peltonen

Der Mörder Mohamed Merah pflegte den Habitus eines Rap-Fans und hinterließ im Internet ein Video, in dem er seine eigenen Reimversuche festhielt. In Frankreich ist Gangster-Rap muslimischer Interpreten seit Langem in der Musiklandschaft vertreten. Auch in Deutschland stand Rap dieser Herkunft 2011 häufig in den Top Ten der Charts, ein Trend, der bis heute anhält. Textlich geht es dabei mitunter deftig zu. Auch antisemitische Äußerungen sind nicht ungewöhnlich.
"Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude" heißt das Buch des Schriftstellers Arye Sharuz Shalicar. Darin schildert er, wie seine jüdischen Eltern von Berlin-Spandau in den Wedding zogen. Als er dort seine jüdische Herkunft offenbarte, habe er seine besten Freunde umgehend verloren und sei zunehmend Opfer von Gewalttaten muslimischer Jugendlicher geworden. Arye war eine Legende im Berliner Hip-Hop-Milieu, wo er sich als Graffiti-Sprüher einen Namen gemacht hatte. In der Szene, in der ursprünglich Herkunft und Religion keine Rolle spielten, fand er Anerkennung und Zuflucht vor dem brutalen Gang-Alltag im Berliner Wedding. Was in seinem Buch nicht zur Sprache kommt: Auch er hatte eine Rap-Karriere geplant und absolvierte unter dem Namen Aro einen kleinen Gastauftritt auf einem Berliner Rap-Album. Mittlerweile hat er Deutschland den Rücken gekehrt und arbeitet als Sprecher der Armee in Israel.
Seit Aros aktiver Zeit haben die Leute einen großen Teil des Geschäfts übernommen, die damals noch wenig mit Rap zu tun haben wollten - Typen wie jene, die ihm ausreichend Gründe geliefert haben, sein Geburtsland Deutschland zu verlassen. Zuletzt veröffentlichte der Musiker Haftbefehl, bürgerlich Aykut Anhan, der kurdischstämmige Newcomer des deutschen Straßen-Rap aus Offenbach, seinen zweiten Tonträger "Kanackis", mit dem er Platz zehn der deutschen Charts erreichte. Anhan bringt so ziemlich alles mit, was Erfolg im Rap-Geschäft verspricht: Seine Geschichte als ehemaliger Drogendealer ist authentisch, er versteht es, seine Stimme auf den Beat fließen zu lassen, und er weiß mit witzigen Anekdoten in seinen Texten zu unterhalten.
Auch er musste sich vereinzelt Vorwürfe des Antisemitismus anhören, bisher in erster Linie wegen des Liedes "Free Palestine" von seinem ersten Album. Doch das Stück ist vergleichsweise harmlos. Schaut und hört man aber bei seinen Videos genauer hin, zeigt sich ein fragwürdiges Bild seiner Sichtweisen und seines Umfeldes. So (ver-)"tickt" er beispielsweise "das Kokain an die Juden von der Börse" ("Psst"). In einem Interview des Rap-Magazins "Juice" erklärt er die Textstelle: "Viele reiche Börsianer sind nun mal einfach Juden. Aber das heißt ja nicht, dass ich etwas gegen Juden habe. Überhaupt nicht. Ich habe nichts gegen andere Völker, ich respektiere jede Kultur. ... Als Kurde weiß ich auch, was es bedeutet, verfolgt zu werden. Ich kenne meine Grenzen. Ich würde Juden niemals beleidigen oder mit irgendwelchen Judenwitzen um die Ecke kommen."
Wenn er in einem älteren Lied aber "das Judentum" "verflucht" ("Mama reich mir deine Hand") und in einem Video, das bislang weit mehr als sechs Millionen Besucher registrierte, einer seiner Mitstreiter martialisch mit einer Bazooka-Attrappe auftritt und "Free Palestine" brüllt ("Glänzen"), dann klingen seine Toleranzbekundungen eher nach Schadensbegrenzung. Als Reaktion auf die vermehrte Kritik erklärt Haftbefehl, dass er keine Lust mehr habe, in seinen Songs politische Themen zu behandeln.
Dies gilt nicht für das bosnisch-marokkanische Duo Celo & Abdi, das demnächst sein Album "HJ" (Abkürzung für Hinterhof-Jargon) über Haftbefehls Label Azzlack (steht für Asozialer Kanacke) auf den Markt bringen wird. Die beiden verbinden antiimperialistische Symbolik mit Nazi-Koketterien, wie der geplante Albumtitel bereits zeigt.
Gleichzeitig rappen sie darüber, wie sie den Bundestag in Geiselhaft nehmen, Freiheit für Palästina fordern und mit dem Maschinengewehr "Schweinehack" aus den Abgeordneten machen ("La Revolution"). Oder sie "fliegen in die Bank wie Mohammed Atta" beziehungsweise mit der "Cessna in den Messeturm" ("Con Air"). Bei ihren Interviews hocken sie vor einem Fähnchen der Hisbollah, die sie eine populäre Widerstandsorganisation nennen. Zum Abschied strecken sie den Arm für einen kurzen Moment zum Hitler-Gruß. Nun gehören Bosnier eigentlich zu einer Ethnie, die schon einmal Ziel eines nationalistisch motivierten Völkermordes war. Auf die Frage, warum man dann ausgerechnet als Bosnier "Antisemitismus im Fanblock von Feyenoord (Rotterdam)" (in dem Song "Wettskandal") heroisieren kann, gibt Celo zur Antwort: "Nationalismus ist die größte Scheiße, die es gibt." In Sarajevo seien zwar alle Religionen vertreten, sagt Celo. "Jedoch bin ich ein Gegner des Staates Israel und des Zionismus. Daher diese Zeile!"
Selber einer muslimischen Volksgruppe entstammend, wird sich bedingungslos mit Palästina solidarisiert, man nimmt für sich den Titel Antizionist in Anspruch und begreift Israel als öffentlichen Feind. Der Antizionismus ist nach allen Seiten offen und für jegliche politische Couleur anschlussfähig. Gemischt mit einer Portion Verschwörungstheorie, die sich auch unter vermeintlich gesellschaftskritischen Rappern nicht muslimischer Herkunft wie etwa dem Duisburger Wojna einiger Beliebtheit erfreut, wird hier der Freimaurer und dort der Jude zum intimen Feind. Dieser Feind verhindert den eigenen sozialen Aufstieg und bestimmt die Geschicke der Weltgeschichte. Politisch entkleidet, ist die Position des Antizionismus unter dem Deckmantel der Israelkritik häufig reiner Rassismus. So bezeichnet eine Stimme in einem Clip auf YouTube, die der des erfolgreichsten deutschen Rappers Bushido verdächtig ähnelt, die Anrufer bei einem Telefonstreich als "missgebürtigen scheiß Juden".
Klar ist: Rap-Musik lebt von der Provokation und ihrer Authentizität. Populär wird ein Rapper dann, wenn er einen für viele Hörer unbekannten Slang auf einem Tonträger festhält. Ähnlich wie durch das Anschauen eines Verbrecherepos erlangt der Konsument Eintritt in Welten, die er in seinem Alltag selber nicht kennenlernt. Die darüber in die Öffentlichkeit getragene deftige Sprache mag für einige erschreckend klingen. Zuletzt stand Bushido als Gewinner des Bambis für Integration im Fokus der Medien. Einwände gab es von der Gruppe Rosenstolz auf der Verleihung für die Texte aus der Anfangszeit seiner Karriere, die als frauenfeindlich gelten.
Ein gewisses Testosterongehabe gehört seit den Hip-Hop-Anfängen in der New Yorker Bronx dazu. Auch wenn es in den frühen Neunzigerjahren vereinzelt Rassismusanschuldigungen gegen Rap-Urgesteine wie Ice Cube oder Public Enemy gab, ist Rassismus unter Rappern eher ein jüngeres europäisches Phänomen. Dabei sind die Protagonisten häufig alles andere als dumme hoffnungslose Fälle aus der Unterschicht, wie es beispielsweise Stefan Raab gerne darstellt, wenn er einen Rap-Künstler in seiner Sendung hat. Rein musikalisch ist die Musik ernst zu nehmen, denn qualitativ und in ihrer Originalität steht sie den amerikanischen und französischen Vorbildern in nichts mehr nach. Ihr (Un-)Wissen über Juden beziehen sie oft aus dubiosen Internetquellen, die in ihrem zumeist rein muslimischen Umfeld zu wenig hinterfragt werden.
Wie kann man gegen Antisemitismus im Rap angehen? Eine Lösung bietet ein Blick ins Mutterland des Raps, wo Jay-Z zusammen mit Russel Simmons, Begründer der Plattenfirma Def Jam, in einem Fernsehauftritt klargemacht hat: Antisemitismus ist Rassismus, Rassismus ist nicht cool, wir sind eins. Ein muslimischer Rapper, der es Jay-Z gegenwärtig gleichtut, wäre das Gebot der Stunde.
 


Diese Seite wurde ausgedruckt von der Webseite der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Essen e.V.
http://www.christlich-juedisch-interessen.de