KIRCHE UND ISRAEL

Artikel veröffentlicht: 21.10.2013, 16:22 Uhr

Anlässlich der Veranstaltung in Kooperation mit der Redaktion der theologischen Zeitschrift KIRCHE UND ISRAEL  (http://www.kirche-und-israel.de/ ) dokumentieren wir das Editorial der Ausgabe 1/2013. Der dort veröffentlichte Beitrag von Dr. Manuel Goldman ist der "Rohstoff" für die gemeinsame Veranstaltung am 30. Oktober 2013 im Haus der Evangelischen Kirche (siehe: http://www.christlich-juedisch-interessen.de/?site=events_detail&id=72&c=3

Vielleicht ist das Editorial für Sie weitere Einladung zur Veranstaltung und Einladung zur Lektüre der Zeitschrift.

Karl H. Klein-Rusteberg

 

KIRCHE UND ISRAEL

Heft 2013-1: Editorial
 

Das Heft beginnt mit zwei aktuellen Beiträgen zum Thema der offenkundig chronischen Judenfeindschaft:

Der Göttinger Sozialwissenschaftler und Antisemitismusforscher Samuel Salzborn widmet sich einer immer weiter um sich greifenden modernen Variante des ewigen Antisemitismus, die sich anstelle „der“ Juden den „jüdischen“ Staat - Israel - zum Feindbild erwählt hat. Für sie ist geradezu kennzeichnend und psychologisch auffällig, wie Salzborn zeigt, dass ihre Verfechter „gebetsmühlenartig“ wiederholen, „nicht jede Kritik an Israel sei antisemitisch“. Deutlich wird in seinen Ausführungen, dass sich in der deutschen antisemitischen Israelkritik „ein spezifisches Bedürfnis nach vergangenheitspolitischer Entlastung“ manifestiert, sich mit ihr also die zweite Erscheinungsform des neuen Antisemitismus verbindet, nämlich das Interesse an Schuldabwehr wegen des Holocaust. Der Clou dabei ist, dass nun der jüdische Staat vergleichbarer Verbrechen beschuldigt wird, die Nazideutschland begangen hat. Salzborns Artikel plädiert für eine rationale, d.h. wissenschaftlich und damit argumentativ begründete Formulierung von Kriterien, die die Unterscheidung zwischen sachlicher Israelkritik und einem anti-israelischen Antisemitismus ermöglichen. Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal, so Salzborn, ist die Bereitschaft, seine eigene Israel-kritische Position zu reflektieren. Nötig wäre zu diesem Zwecke, um nur ein Beispiel zu nennen, die eigenen anti-israelischen Aussagen der realen politischen Lage und den tatsächlichen Verhältnissen und Ereignissen im Nahen Osten auszusetzen, also etwa den auch sonst selbstverständlichen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zu berücksichtigen.

Der Artikel von David Nirenberg, der an der Universität von Chicago als Historiker den Einfluss von historischen Diskursformationen auf das Denken der jeweiligen Gegenwart untersucht, lässt sich als eine historische Entlarvung jenes Erklärungsmusters verstehen, das traditionell „die“ Juden und aktuell „Israel“ zur Zauberformel macht und damit so ziemlich alle Probleme dieser Welt auf die Begriffe „jüdisch“ oder „Israel“ bringen kann. Vom ägyptischen Judenfeind Manetho, über den britischen Judenfeind Shakespeare, den deutschen Judenfeind Luther, die aufklärerischen Antisemiten Voltaire, Kant, Hegel, Fichte oder Schopenhauer - man müsste noch viele andere nennen - vor allem aber bis zu dem geradezu klassischen Antisemiten Karl Marx zeigt Nirenberg, dass Anti-Judaismus eine Form der Judenfeindschaft ist, die sich - anders als der Begriff Antisemitismus voraussetzt - nicht unmittelbar gegen reale Juden und Jüdinnen richtet. Nirenberg kann vielmehr zeigen, dass „jüdische“ Begriffe („Jude“, „Israel“, „judaisieren“ u.a.) als Signifikanten für alles Mögliche, genauer: für alles Negative einer jeweiligen Epoche und Gesellschaft herhalten müssen, ganz unabhängig davon, ob in ihr überhaupt Juden leben. Anti-Judaismus fungiert nach seiner Analyse als eine Art „kritische Theorie“, die die Defizite und als negativ beurteilten Praktiken und Denkweisen einer Gesellschaft auf den sozusagen „erlösenden“ Begriff bringt: „jüdisch“. Der von Nirenberg wiederbelebte Begriff „Anti-Judaismus“ (man beachte die Schreibweise) darf also nicht verwechselt werden mit dem uns geläufigen religiös konnotierten Konzept. Er repräsentiert vielmehr einen „leeren“ Signifikanten, der je nach Bedürfnislage mit den als defizitär beurteilten und verachteten Erfahrungen gefüllt werden kann. Nirenberg ist sich darum auch dessen bewusst, dass in der Gegenwart das Wort „Israel“ diese Funktion weithin übernommen hat. 

Der seit langen Jahren im christlich-jüdischen Dialog engagierte pfälzische Pfarrer Dr. Stefan Meißner analysiert in seinem Aufsatz die Einlassungen moderner Wiedergänger des theologischen rassistischen (oder moderner: ethnozentrischen) Antisemitismus der Nazizeit. Diesmal sind es freilich nicht die Arier, die die den Juden überlegene „Rasse“ repräsentieren und zu akrobatischen Kunststücken der Bibelexegese verführen, die in der Enteignung der jüdischen Bibel durch Aneignung und schließlich auch der Vereinnahmung Jesu für die eigenen politischen Zwecke gipfeln. Es sind vielmehr die politischen Interessen von christlichen Palästinensern, die etwa den anglikanischen Geistlichen Naim S. Ateek und den lutherischen Pfarrer Mitri Raheb dazu bringen, die altbekannte antijüdische „Enterbungslehre“ der christlichen Theologie wiederzubeleben. Sie behaupten, Jesus sei der erste palästinensische Märtyrer und Opfer des jüdischen Volkes, der, um die Analogie zur Nazitheologie zu vervollkommnen, auch im „rassischen“ Sinne (modern: gemäß seiner DNA) ein Palästinenser war. Auf unserer Homepage (www.kirche-und-Israel.de) dokumentieren wir die deutsche Übersetzung einer Rede von Dr. Mitri Raheb , deren kritische Lektüre gerade auch jenen empfohlen wird, die Raheb gern zu einem Kronzeugen für die eigene „christliche“ Entrüstung über Israel machen, selbstredend dabei jeglichen Zusammenhang mit antisemitischem Anti-Israelismus leugnend. 

Von Alfred Bodenheimer publizieren wir einen Vortrag, den er im Gedenken an Aron Ronald Bodenheimer s.A, aber vor allem im Dialog mit wichtigen Veröffentlichungen seines Onkels gehalten hat. Es geht um eine Selbstverständigung über das Jude- und Israelisein nach der Shoah und der Entstehung des Staates Israel, über Gewalt und dass man sich vor Gewaltfreien hüten soll, über jüdischen Stolz und europäische Verachtung und nicht zuletzt über einen Roman von Bernhard Schlink und die Beschneidungsdebatte

Die knappen und bemerkenswerten Thesen von Manuel Goldmann, Direktor des Predigerseminars in Hofgeismar und Absolvent des „Studiums in Israel“, beschäftigen sich mit einer erneuerten Thematisierung der „Differenzerfahrung in der christlich-jüdischen Begegnung“. Die durchaus positive Erkenntnis und Aufarbeitung der Jahrhunderte währenden negativen und ausgrenzenden Verhältnisbestimmung der christlichen Theologie zum Judentum sei immer noch geprägt durch eine Perspektive, in der das Judentum „in den Kategorien christlich-theologischer Tradition“ wahrgenommen und expliziert worden ist. Demgegenüber plädiert Goldmann für eine „Differenzerfahrung“, in der das Judentum in seinen eigenen Begriffen und Besonderheiten als das Andere zur Geltung kommen darf. Dazu, so Goldmann, bedarf es u.a. auch einer Revision des christlichen Wahrheitskonzeptes, das bereit ist, die „fremde Wahrheit“ des Judentums anzuerkennen und nicht der eigenen und ihren Begriffen zu integrieren. 

Peter von der Osten-Sacken, emeritierter Professor der KiHo Berlin und der Humboldt-Universität und herausragende Persönlichkeit des christlich-jüdischen Dialogs, setzt sich kritisch mit einem Aspekt der aktuellen Luther-Biographie seines Berliner Historiker-Kollegen Heinz Schilling auseinander. Es geht Osten-Sacken, bei aller Anerkennung der anregenden Luther-Biographie, darum, dass Schilling die (nicht nur theologische) Aufarbeitung von Luthers antijüdischen Aussagen und Schriften nicht differenziert genug rezipiert hat und seinerseits dazu neigt, den Reformator zu entlasten. Osten-Sacken zeigt, dass es einen Unterschied gibt zwischen der These, es führe ein gerade Weg von Luthers Antijudaismus zum Holocaust, die Schilling u.a. Osten-Sacken selbst unterstellt, zu dem Eingeständnis, dass der Reformator eine Grenze überschritten hat: Luther hat „die“ Juden nicht nur religiös verunglimpft, er hat ihnen auch ihr Menschsein abgesprochen. 

Der katholische Augsburger Religionspädagoge Georg Langenhorst stellt in seinem Beitrag das literarische Werk der österreichischen Schriftstellerin Anna Mitgutsch (geb. 1948) vor, die das Judentum als ihre eigentliche Heimat in einem gewissen Sinne wiederentdeckt hat und konvertiert ist, und zwar, wie sie selbst betont, aus Überzeugung und nicht aus Schuldgefühlen oder Philosemitismus. In ihrem umfangreichen literarischen Werk spiegelt sich, so zeigt Langenhorst, eine äußerst differenzierte und komplexe jüdische Wirklichkeit in Österreich, Israel und in den usa, wie sie die Autorin in ihrem eigenen Leben erfahren und in ihren Romanen literarisch verdichtet hat. Langenhorst schreibt zusammenfassend: „Das Judentum wird in den Werken von Anna Mitgutsch als eine – in sich äußerst pluriforme – eigene Welt geschildert, fern aller Verklärung, allem Kitsch, allem Pathos, als eine Lebens- und Glaubenswelt, die nicht zuletzt in ihrer bleibenden Fremdheit Respekt verdient.“ 

Gabrielle Oberhänsli-Widmer widmet sich auch diesmal einem „Klassiker der jüdischen Literatur“, nämlich dem Roman Mein Michael von Amos Oz, der zu einem internationalen Bestseller geworden ist und allein in der hebräischen Originalversion inzwischen in der 42. Auflage vorliegt. Das Buch ist ein einziger Monolog einer Frau, in dem es nicht nur um das Innenleben der Protagonistin Hannah geht, sondern sich in ihm die Geschichte Jerusalems reflektiert: „Kühl, lieblos, unberechenbar, destruktiv, selbstzerstörerisch, morbid, das sind in diesem Roman sowohl Hannah wie Jerusalem. Beide erscheinen gleichermaßen außer Kontrolle geraten und ringen damit, die Herrschaft über sich selbst wieder zu erlangen.“ 

In der Dokumentation machen wir auf die Jerusalem Declaration einer internationalen protestantischen Gruppe aufmerksam, die Protestant Consultation on Israel and the Middle East (PCIME). http://www.christlich-juedisch-interessen.de/?site=interessen_detail&id=101&c=5

Die Herausgeberinnen und Herausgeber
 


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