Artikel veröffentlicht: 30.09.2013, 19:02 Uhr
Die Lektion
Karl H. Klein-Rusteberg - 30. September 2013
Kräfte- und Mächtegleichgewichte (bzw. Ungleichgewichte), die Balancen der Macht, gelten in Europa nicht mehr viel. Selbst dann, wenn sie rhetorisch beschworen werden. Jedes "Gespräch" mit dem "Anderen" gilt als bedeutsamer. Der in Europa gedachte Frieden ist nicht mehr politisch, sondern kommunikativ. So geraten Konflikte, ja Kriege, schnell zu Missverständnissen und diese resultieren vermeintlich meist aus der falschen Sprachsymbolik des Westens. Deshalb werden Kriege nicht Kriege genannt. Und wer das englische Wort crusade benutzt, gilt als sich selbst enttarnender ewig-gestriger Missionar des Imperialen.
Hingegen ist die Sprache der Vernichtung gegenüber dem jüdischen Staat von seiten des Iran (und anderer) überhaupt kein Thema. Vermutlich gilt die Annahme, sie - Iran - meinten etwas ganz anderes damit, wenn sie sagen, Israel gehöre von der Landkarte getilgt. Aber was sagen sie, wenn sie das sagen? Die Frage bleibt unbeantwortet, weil nicht gestellt. Wird - unausgesprochen - Israel so zum Preis für eine globale "kommunikative Ethik des Friedens"? Dies jedenfalls ist exakt das Muster, nach dem in den Weltanschauungen weiter Teile des Westens Israel zum eigentlichen Friedensverhinderer, ja Kriegstreiber, wird bzw. zu dem Staat wird, der heute mit den Palästinensern so umgeht, wie die Nazis mit den Juden. Es sind Millionen von Menschen, die dies nicht für aberwitzigen Irrsinn, sondern für eine gegebene Tatsache halten. Die Welt steht Kopf und nennt die Betrachtung derselben dann "komplex".
"Es gibt (...) Zeiten, in denen Absurditäten zu politischen Tatsachen werden und nicht mehr ignoriert werden können" - schrieb Omer Bartov 2004. Sollten Europa, Obama und der mehrheiltiche Westen nunmehr beweisen: Ignoranz ist doch möglich? Omer Bartov erinnert weiterhin daran, dass man nicht nach Erklärungen für die Gewaltrede und deren komplementäre Gefühle suchen sollte. Man muss ihnen - so Bartov - Grenzen setzen. "Denn es handelt sich um Leute, die meinen, was sie sagen." Die Lektion nach und angesichts Auschwitz heisst nach Bartov, dass "manche Völker, manche Regimes, manche Ideologien, manche politischen Programme und auch manche religiösen Gruppen beim Wort genommen werden müssen. Es gibt Menschen, die meinen, was sie sagen, die sagen, was sie tun werden und die tun, was sie gesagt haben. Die meisten liberalen, optimistischen und wohlgesinnten Menschen wollen das nicht glauben. Sie glauben, dass Fanatismus nur eine >sekundär auftretende< Art Fassade fürPolitik ist (...)".
Auch wenn sich jeder unmittelbare historische Analogieschluss verbietet: das Münchener Abkommen vom 30. September 1938 gilt als Auftakt für das, was später der II. Weltkrieg in Europa genannt wurde. Die Vernichtung der Juden war kein Element des strategischen Kriegsgeschehens und fand dennoch hierin seinen eigentlichen Kern. Mit dem Krieg, seinen Radikalisierungen und totalen Entgrenzungen wurde das vollzogen, was danach mit "Auschwitz" ebenso hilflos, wie präzise umschrieben wurde. Wurde?
Gefeiert wurde das Münchener Abkommen als europäischer Friedensschritt, vertraglich beschlossen zwischen dem nationalsozialistischen Regime und der britischen Regierung durch Aussenminister Chamberlain. Warnende Stimmen galten als ewig nörgelnde, politische Konkurrenz.
In dem folgenden Beitrag aus der Basler Zeitung sind Reaktionen auf die kommunikativen Annäherungen zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem iranischen Staatspräsidenten Ruhani aufgeführt. Sie können uns zumindest daran erinnern, dass so mancher Frieden zum Auftakt des Gegenteils geriet. Und dann bleibt zuletzt (erneut) die Frage, wen Israel an seiner Seite weiss? /-kr-
BASLER ZEITUNG - 30. September 2013
Obama stösst alte Verbündete vor den Kopf
Annäherung der USA an Iran führt zu Besorgnis
Von Pierre Heumann
Washington. Das Telefongespräch zwischen US-Präsident Barack Obama und seinem Amtskollegen Hassan Rohani dauerte bloss 15 Minuten. Berücksichtigt man die Zeit, die die Übersetzung und Höflichkeitsfloskeln beanspruchten, blieben wohl höchstens ein paar Minuten für einen substanziellen Austausch. Und doch: Der Kontakt ist für Israel und die Staaten am Persischen Golf ein geopolitischer Schock. Erstmals seit dem Sturz des Schahs 1979 haben die Staatschefs der USA und Irans direkt miteinander gesprochen.
Dies verändert die Dynamik in einer labilen Region. Es sei, wie wenn einer plötzlich entdecke, dass sein bester Freund mit dem schlimmsten Rivalen flirte, bringt die «International Herald Tribune» die Bedeutung des kurzen Gesprächs auf den Punkt. Am Golf wurde der Kontakt mit dem Fall der Berliner Mauer verglichen, in Jerusalem wurde Obama Neville Chamberlain gegenübergestellt, berüchtigt wegen seiner Appeasementpolitik gegenüber den Nazis im Jahre 1938.
Zweifel an Rohanis Ernsthaftigkeit
Dass ausgerechnet Obama mit Teheran «flirtet», löst sowohl in Jerusalem und als auch am Golf grösste Besorgnis aus. Viel Gutes erwarten die Verbündeten Washingtons nicht. Sie zweifeln an der Ernsthaftigkeit Rohanis; sie haben den Verdacht, dass er mit seiner diplomatischen Offensive Zeit gewinnen wolle, um das Nuklearprojekt voranzutreiben.
Offizielle Reaktionen aus Jerusalem gab es zwar nicht. Regierungschef Benjamin Netanyahu hat seinen Ministern ein Redeverbot auferlegt. Er will die iranische Charmeoffensive heute mit Obama besprechen und sich am Dienstag in der UNO-Generalversammlung dazu äussern. Vor seinem Abflug in die USA warnte Netanyahu, man müsse die Fakten erwähnen und die Wahrheit sagen. Das sei wichtig «für die Sicherheit und den Frieden der Welt und, natürlich, für Israel». Rohanis Rede tat er als «süsses Geschwätz» ab. Obama komme Rohani entgegen, weil er endlich einmal einen aussenpolitischen Erfolg vorweisen wolle, ist Emily Landau vom Institute for National Security Studies in Tel Aviv überzeugt. Dabei könnte er sogar zu Kompromissen bei Sicherheitsinteressen der USA und Israels bereit sein, warnt Uzi Rabi von der Universität Tel Aviv: Irans Feindschaft gegen Israel werde bleiben. Rohani wolle einen Keil zwischen Amerikaner, Europäer und Israel treiben. Den Iranern sei es bereits gelungen, «das ganze Spiel zu verändern».
Ähnlich tönt es auch in Katar. Die jüngsten Annäherungsversuche könnten «weitreichende Konsequenzen für den Kampf ums Kräftegleichgewicht haben», sagt Salman Shaikh, Direktor des Brooking Doha Center.
Enttäuschung in Saudi-Arabien
Scharf kritisiert wird Obama in Saudi-Arabien. Dort halte man ihn nicht mehr für einen verlässlichen Alliierten, weil er den Syriern und den Iranern nachgebe, sagt Mustafa Alani, ein Sicherheitsanalyst aus Dubai. Obama sei «naiv», sagt Mishaal Gergawi, der für einen Thinktank in Dubai arbeitet. Er sei gegenüber den Moslembrüdern in Ägypten, und gegenüber Baschar al-Assad leichtgläubig gewesen, und jetzt sei er es gegenüber Rohani.
Israel und Saudi-Arabien haben dieselben Befürchtungen. Washington könnte die traditionelle Expansions- und Aggressionspolitik der Iraner akzeptiert, meint der saudi-arabische Journalist Jamal Kashoggi, dem enge Beziehungen zum Königshaus nachgesagt werden.
Der iranische Vizeaussenminister Abbas Araqchi hat Erwartungen bezüglich einer raschen Annäherung zwischen Iran und den USA gedämpft. Ein einzelnes Telefongespräch könne kein Tauwetter in den langjährigen Spannungen zwischen Teheran und Washington bewirken, sagte Araqchi nach Angaben des staatlichen Senders Press-TV am Samstag.
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