Artikel veröffentlicht: 15.02.2013, 15:08 Uhr
KONTEXTE DES TERRORS
Taubheit, Gleichgültigkeit, Judenfeindschaft
Karl H. Klein-Rusteberg
"It means you" - so war die Kolumne von Hannah Arendt in der Zeitung Der Aufbau in den 40er Jahren betitelt. "Es geht Dich was an" - so liesse sich dieser Titel übersetzen. Gehen uns die Kriege in dem großen Bogen vom afrikanischen Maghreb bis in den Iran, dem erweiterten Mittleren Osten, "etwas" an? Gilt der Terror auch uns? Oder lassen wir einen Weltkrieg mal so an uns vorüber ziehen? Wie ignorant auch immer, Verschonung wird es keine geben. Mit unabsehbaren Folgen, nicht nur aber auch und erneut in der von uns verratenen und zerstörten Moral, auf die wir - der Paradoxien nicht genug - gleichzeitig so überaus stolz sind (haben wir doch "aus ´der´ Geschichte gelernt").
Im Dezember 2012 luden wir ein zu einem Gespräch mit Dr. Georg M. Hafner und Esther Schapira, Redakteure des Hessischen Rundfunks, über ihren viel beachteten TV-Dokumentarfilm "München 1970 - Als der Terror zu uns kam" (hier in voller Länge anzusehen - http://www.youtube.com/watch?v=e7l121NQsPc )
In den Gesprächen über diesen Film war wieder und wieder eine Frage, meist im Ton völliger Verwunderung gestellt, zu hören: Warum wurden die gefangenen Täter nicht strafrechtlich verfolgt, sondern nach und nach alle in arabische Länder abgeschoben?
Man wolle zur Beruhigung der Situation im arabischen Raum beitragen, so ist die Antwort im Film als indirektes Zitat der Bundesregierung zu hören. "Die Europäer waren halb taub, halb gleichgültig (...) sie haben kapituliert weil sie dachten, das würde ihr Problem lösen" - so Yoram Schweitzer vom Institute for National Security Studies/Israel in der Film-Dokumentation.
Die Morde an Juden - im Terror von 1970, dann während der Olympischen Spiele 1972 bis heute - sollten nie als solche gesehen werden und ins öffentliche Bewusstsein dringen, sich nie ins viel beschworene kollektive Gedächtnis absetzen.
Dem Großintellektuellen Grass gelten heute die Worte Ahmadinedschads aus dem Iran als "Maulheldentum". Was aber ist das für eine Lehre aus der Geschichte, wenn nicht einmal der Gedanke aufkommt, die täglich zu vernehmenden Aufrufe, Artikel, Filme, Gebete Israel zu zerstören, hörten sich in israelischen, jüdischen Ohren vielleicht doch anders an als am Lübecker Kamin? Auf die Frage, wer den Realismus auf seiner Seite hat, sollte es niemand ankommen lassen. Ob auch nukleare Waffen gegen Israel zur Anwendung kommen, wird die Welt erst nach dieser Anwendung definitiv wissen. Wollen wir dann erneut Lehren aus dieser Geschichte ziehen? Es ist kaum zu entscheiden, ob unsere Haltung als zynisch oder lächerlich präziser beschrieben ist. Für Israel und die Juden ist sie hingegen mindestens tragisch. Und wir schauen diesem Drama weiterhin zu oder setzen Israel unter den Druck unseres Missionseifers, sich doch endlich einer "Friedenslösung" zu widmen.
Der eindrückliche Film von Georg M. Hafner findet nun eine Art Fortsetzung. Von Wolfgang Kraushaar wird am 22. Februar 2013 das Buch "Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?" erscheinen (rowohlt-Verlag - 34,95 €
978-3-498-03411-5). In diesem Buch geht der Autor den Fragen nach, die im o.g. Film nur gestellt werden konnten.
Welches waren die Verbindungen zwischen deutschen Linken und den arabischen Terroristen? Was veranlasste die Bundesregierung zu ihrem Verhalten? Warum kamen die Täter nie vor ein Gericht?
Warum also, um Yoram Schweitzer nochmals zu zitieren, diese Kapitulation der sozial-liberalen Regierung unter Willy Brandt?
Und warum, so müssen wir weiter fragen, die ganz aktuelle deutsche und europäische Weigerung, die Hisbollah auf die europäische Liste der Terrororganisationen zu setzen? Die Kapitulation geht weiter. Die Nah-Ost-Gewalt als tödliche Gewalt gegen Juden auch im 21. Jahrhundert zu sehen, weigert sich die westliche Welt zunehmend.
Der folgende Kommentar von Dr. Matthias Küntzel vom 15. Februar 2013 ergänzt unsere Fragen um die Gegenwart.
Deutschland Radio Kultur
Politisches Feuilleton
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/
und als erweiterte Fassung vom Autor: http://www.matthiaskuentzel.de/contents/europas-feigheit-vor-der-hisbollah
15. Februar 2013 • 07:20 Uhr
EUROPAS FEIGHEIT VOR DER HISBOLLAH
Warum Bulgariens Schuldzuweisung richtig ist
Von Matthias Küntzel
Die bulgarische Regierung macht die Hisbollah für den Anschlag auf israelische Touristen im letzten Jahr verantwortlich und bricht damit ein Tabu: Die Terrororganisation stand bisher nicht auf der europäischen Terrorliste. Warum sich das ändern sollte, erläutert der Politologe Matthias Küntzel.
"Sonnenstrand" war auch der Zielort des Busses, den 40 israelische Touristen am 18. Juli letzten Jahres am Flughafen von Burgas bestiegen. Dann detonierte eine Bombe. Der Bus wurde zum Feuerball. Leichenteile flogen durch die Luft. Sieben Tote, darunter fünf Israelis, blieben zurück. 32 Touristen wurden zum Teil schwer verletzt. Wer hatte die Bombe gezündet? Die bulgarische Regierung schwieg, nahm aber die Ermittlungen auf. Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Nach den Erkenntnissen der Ermittler reisten Hisbollah-Kader von Beirut nach Burgas, um den Anschlag auszuführen. Einer wurde bei dem Attentat getötet, die beiden anderen flohen in den Libanon zurück.
Die Hisbollah wird von Teheran finanziert. Sie gilt als der am besten ausgerüstete und trainierte Terrorverband der Welt. Ihren Anschlägen sollen mehr als 1000 Zivilisten oder UN-Friedenssoldaten zum Opfer gefallen sein. Heute ist die Hisbollah besonders in Syrien aktiv, wo sie an der Seite Assads den Aufstand der Bevölkerung unterdrückt. Das ist bekannt. Und doch hat Bulgarien mit der öffentlichen Nennung der Hisbollah ein Tabu gebrochen. Denn bislang hat Europa die Konfrontation mit ihr stets gescheut. Man verständigte sich stattdessen auf eine Art Stillhalteabkommen: Solange ihr Europa mit eurem Terror verschont, lassen wir euch in Europa in Ruhe.
Das bedeutet: Wir führen die Hisbollah nicht auf der europäischen Liste der Terrororganisationen. Wir gestatten ihr, in Europa Geld einzutreiben, Eigenwerbung zu betreiben und Attentäter zu rekrutieren. In Deutschland ist die Hisbollah mit beinahe 1000 Mitgliedern besonders stark. Hier konnte man bis vor kurzem die Spenden für einen Hisbollah-Tarnverein sogar von der Steuer absetzen. Jetzt aber ändert die Bombe von Burgas das Bild. Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht "in den Ereignissen in Bulgarien einen Weckruf".
Die EU müsse "ihre Instrumente zur Einstufung der Hisbollah als Terrororganisation nutzen". Deutschland solle die Hisbollah "notfalls im nationalen Alleingang" verbieten. Gegen diese Forderung gibt es einen alten Einwand: Zwar gehöre vielleicht der militärische Arm der Hisbollah auf die Terrorliste, aber nicht ihr politischer Flügel. Der sei im Libanon viel zu einflussreich. Beide Flügel sind jedoch untrennbar verbunden: Der Generalsekretär der politischen Partei Hisbollah führt gleichzeitig auch deren Milizen an.
Der eigentliche Beweggrund, warum Europa bislang so wenig gegen die Hisbollah unternimmt, ist Angst. Schließlich prahlt Teheran mit seiner Fähigkeit, Terrorkommandos nach Gusto losschicken zu können. "Es herrscht die allgemeine Furcht", erklärt Sylke Tempel, eine Berliner Außenpolitik-Expertin, dass, wenn wir über das Attentat von Burgas "zu viel Geschrei machen, Hisbollah erneut zuschlagen könnte, und dass es dann keine israelischen Touristen trifft".
Sollen wir aber eine Terrorgruppe als solche nicht benennen, weil wir ihren Terror fürchten? Verschließen wir die Augen, solange ihr Terror in Europa "nur" auf Juden zielt? Das hieße, ein Krokodil in der Hoffnung zu füttern, dass es uns als letzte frisst. Bulgarien ist einen anderen Weg gegangen. Gewiss, auch in Sofia wurden Stimmen laut, die vor Racheakten der Hisbollah warnten. Außenminister Nikolay Mladenov erwiderte: "Wenn wir der Versuchung erlegen wären, die Wahrheit zu verschleiern, dann würde die Botschaft an die ganze Welt sein: Hier könnt Ihr alles machen. Das ist nicht die Botschaft, die Bulgarien senden darf." Und die Europäische Union, so füge ich hinzu, schon gar nicht.
Matthias Küntzel, geb. 1955, ist Politikwissenschaftler, Pädagoge und Publizist in Hamburg. Sein Buch: "Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft" erschien 2009 im wjs-Verlag, Berlin. Weitere Informationen und Kontakt: www.matthiaskuentzel.de
Diese Seite wurde ausgedruckt von der Webseite der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Essen e.V.
http://www.christlich-juedisch-interessen.de