Eröffnung Woche der Brüderlichkeit 9. März 2015 ALTE SYNAGOGE Essen

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Artikel veröffentlicht: Sunday, 22. March 2015, 11:26 Uhr

IM GEHEN ENTSTEHT DER WEG

Einführung und Begrüßung "Woche der Brüderlichkeit"

9. März 2015

Pfr. Markus Heitkämper, Evangelischer Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V. in Essen

Im Namen des Vorstandes der Essener Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit darf ich Sie herzlich zu der lokalen Auftaktveranstaltung der Essener Woche der Brüderlichkeit hier in der ´ALTEN SYNAGOGE – Haus jüdischer Kultur´ begrüßen.
Wir freuen uns sehr, dass Prof. Klaus Wengst unter Bezugnahme auf das diesjährige, wie stets vom Deutschen Koordinierungsrat formulierte Jahresthema heute zu uns sprechen wird http://www.christlich-juedisch-interessen.de/?site=interessen_detail&id=143&c=5 .


Gestatten Sie mir zu Beginn zwei einleitende, durchaus kritische Bemerkungen.

I. ...und wieder ist ein Jahr seit der letzten Auftaktveranstaltung im März 2014 vergangen. Alle Jahre wieder kommen wir zusammen – sei es aus frisch erwachtem persönlichen Verlangen heraus, sei es aus guter vertrauter Gewohnheit, sei es aus Gründen dienstlicher Verpflichtung.
Und doch ist heute alles anders.


Der 18. Juli 2014 mit seinen –erstmals seit Kriegsende- auf den Strassen der Essener Innenstadt unverhohlen herausgeschrieenen Parolen des Juden- und Israelhasses markiert eine Wende, die als historisch zu bezeichnen wohl keine Übertreibung darstellt.
 

Am 9. November 1938 wurde dieses Bauwerk, die damalige Essener Synagoge, nach nur 25 Jahren der Nutzung, geschändet und damit der Name Gottes verhöhnt. Als im Jahre 1960 Geborenem ist mir dieses Geschehen nur aus den Berichten von Zeitzeugen zugänglich.

Am 18. Juli 2014 aber wurden ich und einige der unter uns heute Versammelten unmittelbare Augen- und Ohrenzeugen. Rechtsextreme, Linksextreme und Islamisten gingen eine wahrlich denkwürdige Allianz ein, nicht zum ersten Mal. Judenhass als kleinster gemeinsamer Nenner. Les extrèmes se touchent. Wiederum wurde das jüdische Volk hasserfüllt attackiert. Wieder wurde eben darin der Name Gottes geschändet. Wer zum Hass, ja zur Vernichtung des jüdischen Volkes aufruft, der vergreift sich am „Augapfel Gottes“. Mit diesem liebevollen Ehrentitel wird Israel in den Juden und Christen gemeinsamen Heiligen Schriften ja bekanntlich mehrfach bezeichnet.

Doch hatten und haben die Ereignisse des 18. Juli 2014 für die Täter irgendwelche nennenswerten Folgen? Ist im Großteil der Medien von den Geschehnissen auch nur ansatzweise angemessen berichtet worden?
 

Wie wäre dem existenten, zunehmendem Judenhass –sei er rassistisch, politisch oder religiös motiviert- auch nur halbwegs Einhalt zu gebieten? Jenseits von Pädagogik und Therapie wäre eines auf jeden Fall unverzichtbar gewesen: der Einsatz der legitimen Staatsgewalt. Als eindeutiges Signal auch im Inland und Ausland, nicht zuletzt in unserer Partnerstadt Tel Aviv, dafür, dass die Mitte unserer Zivilgesellschaft der Atmosphäre der Juden- und Israelfeindschaft mehr als bislang entgegensetzt. Ein klares und vernehmbares Ja zu den Juden in unserer Stadt und zum Staat Israel, der Lebensversicherung des gesamten jüdischen Volkes. Kein „Ja, aber“! Sollte Ihnen aufgefallen sein, dass ich die letzten Sätze im Konjunktiv gesprochen habe, so haben Sie richtig gehört.


II. Meine zweite einleitende Bemerkung beginnt mit einem nur geringfügig abgewandelten Zitat. Es lautet: ‚...Wer also unter euch dem jüdischen Volk angehört, mit dem sei der Ewige, und er mache Alijah!’
Verehrte Anwesende, diese Aufforderung zum Alijah-Machen, zur Immigration nach Eretz Jissrael ist sehr viel älter, als einige unter Ihnen vermuten mögen. Es handelt sich nicht um den Ausspruch des gegenwärtigen israelischen Ministerpräsidenten und es ist auch kein Zitat aus dem Werk Theodor Herzls. Nein, mit diesem gleichsam „zionistischen“ Programm (wenngleich dieser Ausdruck, bezogen auf einen Bibeltext, natürlich einen Anachronismus darstellt) endet die jüdische Bibel, der Tenach, an deren Schluss, anders als in der späteren christlichen Tradition des sog. Alten Testaments, ganz bewusst eben die beiden Bücher der „Chronik“ (den dibre hajjamim) stehen.
Und dort, in den Schlusssätzen des 2. Chronikbuches, erteilt kein geringerer als der persische (wir hören und staunen nicht schlecht!) König Kyros II. vor nunmehr 2½ Jahrtausenden den babylonischen Exulanten die Rückkehrerlaubnis, ja: diese Rückkehraufforderung ins Land Israel und zur Heiligen Stadt Jerusalem. So also lautet das allerletzte Wort der jüdischen Bibel: „wejaal“ „und er ziehe hinauf“, „er mache Alijah“!

 

Warum erwähne ich das? Weil dem – bereits seit langem feststehenden- Jahresthema „Im Gehen entsteht der Weg – Impulse christlich-jüdischer Begegnung“ für mich eine unerwartete neue Bedeutung zugewachsen ist: und zwar auf dem Hintergrund der dshihadistischen antisemitischen Morde der letzten Wochen und Monate (viel angemessener wäre es, von den letzten Jahren zu sprechen!), und all dies auf unserem Kontinent, demjenigen Kontinent, der auf die Werte der Aufklärung zu Recht so stolz ist. Vom „Gehen“, von der Auswanderung von Teilen des europäischen, bes. des französischen Judentums ist im öffentlichen Diskurs zur Zeit viel die Rede. Innerjüdisch wird kontrovers gerungen.


Was mich schockiert: der Diskurs wird keineswegs nur von den üblichen Alarmisten geführt. Selbst ein Rafael Seligmann verfasst in der „Zeit“ vom 13. Februar einen geradezu programmatischen Beitrag unter dem Titel „Wir gehen“, mit dem Untertitel „Europas Judentum ist bald nur Geschichte“. Es klingt fast wie eine Anspielung auf unser Jahresthema. Wir, die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft, die noch mehrheitlich christlich geprägt ist, sollten dieses innerjüdische Ringen sehr aufmerksam und mit tiefer Empathie verfolgen. Wer schon einmal in Israel war, der wird die elementare Wahrheit der Vision Herzls vermutlich nachspüren können: endlich einen Ort auf dieser Erde zu haben, in dem es keine Schande ist, Jude zu sein, jüdische Identität offen leben zu können, ungeachtet der Bedrohung, der man als Kollektiv auch dort täglich ausgesetzt ist, denn Israel gleicht, um mit Efraim Kischon zu reden, bekanntlich einer Insel, die nicht von Wasser, sondern von Hass umgeben ist.
 

Wir sollten aber auch jenen jüdischen Stimmen zuhören (oft aus der jungen Generation), die die sprichwörtliche Rede vom „Sitzen auf den gepackten Koffern“ nicht mehr hören wollen. In der Jüdischen Allgemeinen vom 26. Februar bekennt eine 1984 geborene Berliner Jüdin mutig, trotzig und frech: „Wir sind eine neue Generation selbstbewusster Juden, die auf ausgepackten Koffern tanzt, singt und Großes schafft.“

Und wie wird dieser Diskurs eigentlich von denjenigen Jüdinnen und Juden wahrgenommen, die, vornehmlich in den 1990er Jahren, aus den Ländern Osteuropas in die Bundesrepublik (und eben nicht nach Israel oder Amerika) emigrierten? Nicht selten höre ich sie sinngemäß sagen: ‚Ach, wenn Sie wüssten, was in unseren ehemaligen Heimatländern so los war und ist, wo wir von massenhaftem und lebensbedrohlichem Judenhass umgeben waren und uns die Staatsgewalt kaum „beschützte“, dann würden Sie vielleicht eher verstehen können, warum wir bei allem beklagenswerten Erscheinungen von Antisemitismus auch hier in Deutschland doch nicht in Panik verfallen!’ Und mir ist auch der Ausspruch eines Mitglieds der Essener Kultusgemeinde noch deutlich im Ohr. Als wir am Schabbat nach dem dschihadistischen Mord an Juden in einem Pariser koscheren Supermarkt ins Gespräch kamen, sagte er mir: „Nein, nein. Ich habe keine Angst. Ich fürchte mich nur vor Gott- und vor meiner Frau!“ Da mussten wir beide schon lachen, und ich dachte mir: hier manifestiert er sich wieder, dieser geradezu unbändige Überlebenswille des jüdischen Volks, lechajjim eben!
Doch zugleich konnte ich da ein anderes Bild in mir nicht ganz unterdrücken. Das Bild eines Menschen, der im dunklen Walde pfeift, um sich selbst Mut zu machen und sich von der vielleicht sehr viel bedrohlicheren Situation abzulenken. Was ja vollkommen verständlich wäre!

 

Ist es nicht eine einzige Ungeheuerlichkeit, an die wir uns alle eigentlich schon längst gewöhnt haben, ja: jüdischerseits wird dafür sogar dem deutschen Staat gedankt (was natürlich ebenfalls allzu verständlich ist!): dass nämlich seit den 1970er Jahren alle jüdischen Einrichtungen, selbst Kindergärten und Schulen, vom Staat geschützt werden müssen? Sogar dieses Haus, in dem wir uns heute befinden? Obwohl es ja schon seit vielen Jahrzehnten gar keine jüdische, sondern eine städtische Einrichtung ist? Offenbar reicht den Judenfeinden bereits der diffuse Geruch des Jüdischen oder ehemals Jüdischen aus, um loszuschlagen.
 

Wir, die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft, sollten uns bei alldem bewusst machen, dass es bei der Feindschaft gegen das jüdische Volk nicht zuletzt um uns geht! Wenn wenn die Geschichte des Antisemitismus eines zeigt, dann dies, dass Juden immer „nur“ die ersten waren und sind, die es trifft. Judentum steht ja nicht nur für die Gabe des Monotheismus an die Welt, sondern ebenso für die Freiheit des unablässigen kritischen Diskurses und für eine Kultur des Lebens und für das Leben, der Humanitas. Die Rettung von Leben setzt bekanntlich alle Ge- und Verbote ausser Kraft. So sollte allein schon das Faktum, dass in den jüdischen Communities wieder gerungen werden muss über ein Bleiben oder doch Gehen, in höchstem Maße beunruhigend sein – und zwar für uns Nichtjuden. Die Feindschaft gegen das jüdische Volk ist eine Kriegserklärung gegen die Freiheit und die Werte der Humanität.
 

 

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