FREUNDE ISRAELS?

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Artikel veröffentlicht: Tuesday, 13. March 2012, 18:54 Uhr

Wir danken dem Autor für die Erlaubnis, den folgenden Beitrag zu übernehmen. -kr-

DIE WELT
ESSAY

Michael Wolffsohn
8. MÄRZ 2012
Freunde Israels?

Abgesehen von Kanzlerin Merkel und einigen wenigen sind viele Deutsche kritisch gegenüber dem Judenstaat, der ihnen zu religiös und kriegerisch ist. Verbundenheit war und ist ein Elitenprojekt
Iranische Raketen treffen Israel. Es folgen Hisbollah- und Hamas-Geschosse aus dem Südlibanon und dem Gazastreifen. Syriens bedrängter Präsident Assad wird versucht sein, das gegen seine islamische Opposition nutzlose Raketenarsenal gen Israel zu feuern, um die gegen ihn gerichtete Revolution auf den "zionistischen Feind" umzusteuern. Noch ist es nicht so weit. Das kann sich ändern, wenn eintrifft, was viele befürchten: dass Israel die iranischen Atomanlagen bombardiert. Wird Deutschland einen Angriff auf Israel, wie es Bundeskanzlerin Merkel vor der Knesset verkündete, als einen Angriff auf Deutschland interpretieren? Das ist weder nötig noch möglich. Es ist nicht nötig, weil jenes Horrorszenarium unwahrscheinlich ist. Assad, seine Gegner, Hamas und Hisbollah haben derzeit andere Sorgen und Prioritäten, als einen selbstmörderischen Krieg gegen Israel zu führen, und Israel kann sich iranischen Aktionen oder Reaktionen auch ohne die schon jetzt überforderte Bundeswehr erwehren. Ein deutscher Militäreinsatz zugunsten Israels ist in der deutschen Gesellschaft nicht durchsetzbar. Wer ihn trotzdem (ver-)sucht, riskiert sein politisches Überleben. Weshalb? Weil es eine deutsch-israelische Freundschaft nicht gab und gibt. Ich modifiziere, revidiere aber meine These nicht: Die deutsch-israelische Freundschaft, die 1952 (Wiedergutmachungsabkommen) als Zusammenarbeit wechselseitig argwöhnischer Partner begann, ist seit jeher ein "Elitenprojekt" (Botschafter a. D. Schimon Stein). Fast ist sie sogar nur ein Kanzlerprojekt, das die Mehrheit der deutschen Gesellschaft nie wirklich wollte.
Am Anfang war Adenauer. Seiner Spur folgten Kohl und Merkel. Nicht selten, doch seltener als in anderen Parteien, versuchten Parteifreunde, wie heute Norbert Blüm, ihnen dabei Beine zu stellen. Kanzler Erhard rutschte eher unfreiwillig in die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, Kiesinger war als Ex-PG der NSDAP belastet und befangen. Unter den SPD-Kanzlern Brandt, Schmidt und Schröder kriselte und krachte es gewaltig. Weder Schmidt noch Schröder verheimlichten ihre Abneigung gegenüber Israel, und dabei konnten sie, anders als in anderen Politikbereichen, sogar mit der Zustimmung der Parteimehrheit rechnen, von ihren Linken ganz zu schweigen. Die FDP war bis zum Ritterkreuzträger Mende nationalliberal-rechts, der sozialliberale Scheel ging zu Jerusalem auf provokative Distanz, Genscher wollte, wie SPD-Kanzler Schmidt, gegen den damals massiven Protest Israels den Saudis deutsche Panzer liefern, und Westerwelle hatte den Möllemann-Klotz am Bein.
Die Wurzeln der Grünen führen zur Neuen Linken der 60er- und 70er-Jahre. Sie bestritt Israels Existenzrecht. Sie war nicht nur israelkritisch. Der Grünen-Parteitag von Neumünster war 1991 eine Igitt-Israel-Party. Joschka Fischer, der rechtzeitig vor der Bundestagswahl 1994 eines Morgens als Israelfreund erwachte, um regierungsfähig zu sein, zähmte die Grünen-Basis. Als Außenminister von 1998 bis 2005 bewährte er sich weiter als Dompteur. Das Nichtverhältnis der PDS/Linken zu Israel bedarf keiner Details. Ausnahmen wie Gysi und Petra Pau bestätigen die Regel.
Von Kanzlern und Parteien zur öffentlichen Meinung: In den Jahren 1952 bis 1967 war sie Israel gegenüber negativ, von 1967 (Sechstagekrieg) bis 1973 (Jom-Kippur-Krieg) positiv, dann indifferent, und seit 1981 zählt Israel für "die" Deutschen zu den weltweit unbeliebtesten Staaten. Es ist klar: Die deutsche Öffentlichkeit, Politik und, ja, die meisten Medien sind keine Freunde Israels. Sie werden alle Alarmglocken schlagen, wenn Israel, jenseits der bisher eher verdeckten, aktive Militärhilfe aus Deutschland bekommen soll.
Woher die abgründige Distanz der Deutschen gegenüber Israel? Antisemitismus? Sind die Deutschen Israel und Juden gegenüber unbelehrbar? Im Gegenteil, die Deutschen haben ihre geschichtliche Lektion so gut gelernt, dass Israel heute in ihren Augen verkörpert, was Deutschland einst war, und mit diesem alten Deutschland identifiziert sich das neue nicht. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen lehnt, als Lehre aus ihrer Geschichte, Gewalt als legitimes Mittel der Politik ab. Sie sagen: "Nie wieder Täter!" Umgekehrt haben Israelis und Juden aus ihrer Geschichte gelernt: "Nie wieder Opfer!" Deshalb halten sie Gewalt, notfalls auch vorwegnehmende, für ein legitimes Mittel der Politik. Erst recht, wenn sie ihr Überleben bedroht sehen, zum Beispiel durch iranische Atombomben.
Die Mehrheit der Israelis hält viel von Nation und Staat. Den meisten Deutschen sind beide Begriffe Preußen- oder, schlimmer, NS-verdächtig. Bundespräsident Gauck wird diese Vorbehalte abbauen wollen - und diesbezüglich scheitern. Jüdische Religion und jüdischer Staat sind in Israels Gesellschaft enger denn je verwoben. Jüdische Fundamentalisten sind, teilweise sogar in der Regierung, im Vormarsch. Halacha-Fundamentalismus schreckt aber die meisten Deutschen ebenso ab wie die Scharia oder die Pius-Brüder. Wenn Israelis vom "Land Israel" sprechen, schwingen Geist, Herz und Körper. Sollte ein Deutscher von Deutschland als "dem Land der Deutschen" schwärmen, gilt er als verrückt, reaktionär oder beides. Die Deutschen haben durch die Ostpolitik Brandts, Schmidts und Kohls außerdem gelernt, dass der Verzicht auf Land Frieden schafft. Israel hat auf Land verzichtet (Teile des Golan, Sinai, Südlibanon, Gazastreifen, Teile des Westjordanlandes). Es hat dafür von Ägypten und Syrien einen Kalten Frieden und von Palästinensern sowie schiitischen Libanesen "heiße" Raketen bekommen. "Land für Frieden", das ist eine deutsche Erfahrung, keine israelische.
Deutsche und Israelis waren nach der Urkatastrophe des Holocaust Lichtjahre voneinander entfernt. Die Deutschen standen am Anfang bei A, Israelis bei B. Im Laufe von Jahrzehnten wechselten die Deutschen von A nach B, die Israelis von B nach A. Nun sind sie wieder Lichtjahre voneinander entfernt. Mit einem Unterschied: Die deutsch-israelische Freundschaft ist auf winzige Teile der politischen und medialen Klasse beschränkt. Israels Politik, öffentliche und veröffentlichte Meinung schätzen Deutschland und die Deutschen trotzdem. Auch ohne Deutschland würde sich Israel iranischer Angriffe erwehren können. Die Deutschen dürfen ihr gutes Gewissen bewahren.
  

 

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